Man hört sie jedem Stammtisch, liest sie Mopedforen, Werbebroschüren und manchmal sogar in “seriösen” Motorradtests: Unsterbliche Mythen und Legenden über Motorräder, die sich seit Generationen am Leben halten.
So soll z.B. ein tiefer Schwerpunkt oder breite Reifen am Zweirad (oder am Besten grad beides zusammen) ganz toll, oder wie gerade topaktuell, Drehmoment das einzig entscheidende Kriterium für Fahspass sein... Siehe dazu auch Ulf Penners Drehmoment-Lüge –>
http://www.tuning-fibel.de/kolumne/drehmoment-luege.php
Anders ist es nicht zu erklären, wieso immer noch 8 von 10 Mopedfahrern glauben, dass ein Langhuber mehr Drehmoment als ein Kurzhuber macht. Dies obwohl die Motoren in den letzten Jahrzenten immer kurzhubiger wurden und sich ihr Drehmoment bezogen auf den Hubraum dabei trotzdem vervielfacht hat?
Ist doch logisch, werden sie Dir sagen, denn Drehmoment ist bekanntlich Kraft x Hebelarm. Und beim Ottomotor ist der Hebelarm (ungefähr) gleich dem Hub. Also macht ein Langhuber logischerweise auch mehr Drehmoment, oder?

Leider falsch, denn um bei gleichen Hubraum zu bleiben, muss mit zunehmendem Kolbenhub die Kolbenfläche kleiner werden. Wird der Hub z.B. 10% länger, muss die Kolbenfläche ebenfalls um 10% kleiner werden (somit der Kolbendurchmesser 5% kleiner). Damit ist die Kraft, resultierend aus mittlerem Verbrennungsdruck x Kolbenfläche ebenfalls 10% kleiner und das Drehmoment bleibt also genau gleich!
Dann macht der Langhuber eben mehr Drehmoment, weil er ja mit dem grösseren Kolbenhub mehr Verdichtung macht?

Auch das ist falsch, denn die Verdichtung wird nicht durch die Hublänge, sondern durch das im OT verbleibende Brennraumvolumen bestimmt. Die Formel dazu lautet: Verdichtung = (Brennraumvolumen + Hubraum)/Brennraumvolumen.
Aber wenn der Kolben kleiner wird, wird er doch leichter und damit die Unwuchten kleiner, oder?

Das stimmt für den Kolben alleine betrachtet, jedoch wird leider auch der Pleuel länger und die Kurbelwelle im Durchmesser grösser. Da diese Teile aus drei Mal schwererem Vergütungsstahl bestehen, machen deren Gewichtszunahme die Einsparungen des Alukolbens leider mehr als wett. Die rotierenden Massen und die Unwuchten des Langhubers werden deshalb sogar ansteigen.
Mit dem kleineren Kolbendurchmesser wird aber die Dichtlänge der Kolbenringe kleiner und damit die Leckage sinken?

Die Kolbenringe werden tatsächlich kleiner, in unserem 10%-Beispiel um etwa 5%. Da diese Dichtungen nun aber um 10% mehr Arbeitsweg zurücklegen müssen, wird die Leckage und auch deren Verlustleistung aber sogar eher ansteigen.
Der Langhuber hat daneben auch noch weitere, viel gravierendere Nachteile:

Durch den längeren Hub wird die mittlere Kolbengeschwindigkeit bei gleicher Drehzahl ansteigen. Der Drehzahlbegrenzer muss also tiefer angesetzt werden.

Durch den kleineren Kolbendurchmesser wird der radiale Platz für die Ventile im Zylinderkopf eng. Es müssen also kleinere Ventile verbaut werden, was eine ordentlichen Füllung mit steigender Drehzahl verhindert. Oft sind Langhuber deshalb auch immer noch Zweiventiler.

Durch den grösseren Hub wird sowohl der Zylinder und durch die grössere Kurbelwelle auch das Kurbelgehäuse höher. Damit steigt die Bauhöhe des Motors gleich doppelt. Will man keine Bodenfreiheit opfern, wird damit der Platz unterm Tank eng. Gewisse Hersteller sehen sich darum gezwungen, die DOHC zugunsten der Bauhöhe sparenden OHC Technik mit Kipphebeln aufzugeben.
Sollte Dir also beim nächsten Mal irgendwer von seinem Wahnsinns-Drehmoment-Langhuber erzählen, nicke einfach, lächle mitleidig und versuch, das Thema zu wechseln
Man kann andere Menschen nicht ändern, nur sich selbst. Und das ist schon schwer genug...
